Neue Normalität

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Über den Umgang mit neueren Parteien 

Warum ich diesen Artikel gut schreiben kann, ohne Gefahr zu laufen Parteienwerbung machen zu wollen: Ich bekenne mich dazu überzeugter Nichtwähler zu sein. Ich war mit 18 mal DKP Mitglied und dann war ich ein paar Jahre in der SPD. Bis vor nicht allzu langer Zeit war ich der Überzeugung, dass mein Herz links schlägt. Seit einigen Jahren allerdings ist für mich das politische Koordinatensystem nicht nur aus den Fugen geraten, weil etliche vermeintlich Linke tatsächlich reden und handeln wie Rechte und umgekehrt. Ist ihnen eigentlich schon einmal aufgefallen, dass dieses politische Koordinatensystem ausschließlich in einer zweidimensionalen Welt existiert? Links, rechts, vorne, hinten – all das sind Koordinaten auf einer Fläche. Sobald wir eine dritte Dimension dazu geben, fällt dieses Koordinatensystem in sich zusammen und verliert jedweden Sinn. Mir geht es hier allerdings um etwas anderes.

Die Grünen wurden 1980 gegründet. 1983 schafften sie den Einzug in den Bundestag und überraschten das politische Deutschland mit unkonventionellem Äußeren, außergewöhnlichem Gebaren und neuen – bis dato unbekannten Regeln. Joschka Fischer ließ sich 1985 zum hessischen Umweltminister erklären und erntete in Jeans und Turnschuhen noch Häme und Empörung. Weniger als 15 Jahre später war er Außenminister Deutschlands und stritt für einen Kriegseintritt in den Jugoslawienkrieg. Wer würde heute noch Aussagen über die Grünen machen, wie wir sie einst von Franz Josef Strauß gehört haben, der meinte sie wären „Ratten und Schmeißfliegen“? Die Grünen gehören zur Normalität im politischen Alltag. Es hat dafür fast 20 Jahre gebraucht, aber der Prozess ist abgeschlossen.

Ebenso verhielt es sich mit der Partei der Linken. 1989 wurde die ehemalige SED aus der DDR in PDS umbenannt (Partei des demokratischen Sozialismus). Als diese in den ersten Bundestag einzog gab es ebenfalls von Empörung bis Häme alles, was sich eine Partei vorstellen konnte. So wie die Grünen viele Jahre die Schmuddelkinder der deutschen Politik waren, war es jetzt die PDS. Das änderte sich auch nicht nach der Fusion mit der westdeutschen WASG von Oskar Lafontaine. Die Änderung des Parteinamens von PDS zu „Die Linke“ konnte das auch nicht verhindern. Über viele Jahre war die Linke politisches Sperrgebiet. Mittlerweile sitzt die Linke in diversen Länderregierungen und ist im politischen Apparat Deutschlands voll akzeptiertes Mitglied. Manche Dinge brauchen offensichtlich Zeit, damit die Menschen ihre Ängste verlieren. So ist es auch im Parteiensystem.

2013 wurde die AFD gegründet. Sie ist derzeit das bevorzugte Schmuddelkind von Regierung und Mainstreammedien. Wenn es gilt irgendjemand zu diskreditieren, ist das Framing der Nähe zur AfD schnell bei der Hand. Nächstes Jahr feiert die AfD ihr 10jähriges Jubiläum und existiert damit weit länger als es ihr politische Analysten prognostiziert haben. Die AfD ist aus dem politischen Alltag Deutschlands kaum wegzudenken, obwohl sie immer noch behandelt wird, als sei sie mit ihren Inhalten und ihrem Personal heutzutage das politische Sperrgebiet bzw. Tretminenfeld. 

Wäre es nach 10 Jahren Mitgliedschaft in den meisten deutschen Parlamenten auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene nicht endlich Zeit, sich auch mit der AfD auf eine Art neue Normalität einzulassen? Es darf doch jeder selbst entscheiden, ob die AfD eine Gefahr für unsere Verfassung sein könnte. Die Zahl der Wähler einer Partei, bzw. der Wähler anderer Parteien dokumentiert doch genau dies? Und ganz ehrlich: Wie könnte eine AfD unsere Verfassung mehr beschädigen, als es die Regierungsparteien der letzten zweieinhalb Jahre bereits getan haben? Ist die AfD verfassungsfeindlich? Lesen sie dazu den Verfassungsschutzbericht. Der sagt klar: „Nein“. Warum geht noch ein Raunen durch die Menge, wenn jemand zugibt, dass er AfD wählt, mit ihr sympathisiert oder sogar Mitglied bei ihr ist? Die AfD ist Teil unseres politischen Alltags und es wird einfach Zeit, das zu akzeptieren.

Ebenso verhält es sich mit anderen Parteien. Von den Parteien, die im Zuge der Corona Situation bekannt geworden sind, hat es die Basis zu dem wohl stabilsten und stärksten Faktor geschafft. Auch sie ist (egal, ob es ihr gelingen wird, irgendwann mal in ein Parlament einzuziehen) ein Teil des politischen Systems Deutschlands. Immerhin hat die Basis mehr Mitglieder als die AfD.

In Deutschland wurden schon immer irgendwo neue Parteien gegründet. Ein Wahlzettel heute sieht anders aus, als ein Wahlzettel aus den Siebzigern. Viele davon sind längst untergegangen, einige davon haben es geschafft. Das alles ist nichts besonderes. Es wird endlich Zeit, damit umzugehen und es als Teil dieses Landes zu akzeptieren, der weder von selbst verschwindet, noch sich auf irgendeine andere Art eindämmen lässt.