Von Machern und Mitläufern    

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Stellen Sie sich vor, Sie schlendern durch die belebte Stadt und plötzlich stockt die Menschenmasse und es bildet sich eine Menschentraube. In der Mitte der besagten Menge liegt leblos ein Mittfünfziger und atmet offensichtlich kaum oder gar nicht mehr. Welche Anzahl Menschen hechtet nun heran und leistet diesem armen Menschen erste Hilfe? Wie hoch mag der Prozentsatz an betrieblichen Ersthelfern oder Autofahrern sein, die eigentlich wissen sollten was zu tun ist, die bedröppelt stehen bleiben und nichts tun? Die Anzahl derer, die das Handy zum Filmen zücken, dürfte höher sein, als jener, die vor diesem Menschen knien.

Was ich beschreibe, lässt sich eins zu eins auf das gesamte Volk ummünzen. Es ist derselbe Vorgang, unter dem auch ich als Veranstalter der Montagsdemonstrationen seit über zwei Jahren zu leiden habe. Es ist auch der Grund, warum unsere werte Regierung mit uns tun und lassen kann, was sie möchte. So gehen geschätzte 95% der Teilnehmer gerne auf Demonstrationen und laufen dort zu gerne hinterher. Selbst veranstalten würde von dieser Personengruppe jedoch niemand. „Könnte doch der Typ neben mir machen.“ Oder „Ich warte lieber mal ab, was passiert, wenn sich sonst keiner meldet und wenn mich Einer anspricht, dann mach ich‘s halt“. So wartet man geduldig, das hat man uns ja so beigebracht, bis gar nichts mehr geht und wandert immer weiter nach hinten in der Menge ab. Allerdings immer noch nahe genug, dass man den Mittfünfziger sehen kann. Man könnte ja was verpassen.
Wie oft habe ich schon voller Verbitterung über dieses Verhalten zum drastischen Ausruf gegriffen: „Der Typ ist fast tot, wenn jetzt keiner hilft, ist das Schauspiel hier vorbei.“ Überraschenderweise haben daraufhin plötzlich viele reagiert. Auf einmal kamen die Ersthelfer aus allen Ecken und wollten dem Sterbenden zu Hilfe eilen. Doch leider ist es dann oft zu spät, das Kind, das bereits in den Brunnen gefallen ist, noch zu retten.

Klar nehme ich mich auch nicht aus und glaube, in einer solchen Situation initiativ der Superheld zu sein. Wobei sich dies in den letzten zwei Jahren bei mir durchaus gewandelt hat.
Nun werden einige erwidern: „Aber beim Kampf gegen Rechts sind doch ganz viele aktiv!“ Haben Sie sich einmal gefragt, warum Menschen hier aktiv werden, aber bei drohender Insolvenz und Verarmung, Rente ab 70 und Waffen in ein Kriegsgebiet nicht? Um nur ein paar wenige Themen zu nennen. Nun, bei all diesen Themen wird uns eingebläut, es schicke sich nicht, dafür einzustehen. Und was soll denn nun mein Nachbar denken, wenn ich plötzlich mit Covidioten und Nazi-Bauern auf die Straße gehe. Was soll denn der Typ neben mir denken, wenn ich 10 anstatt 15-mal Herzdruckmassage an dem Mittfünfziger vollziehe? Der wird mich für einen Idioten halten.

Bei uns Deutschen scheint dies tief verwurzelt zu sein. Und obendrein machen es uns unsere Mitbürger mit Migrationshintergrund in besonderem Maße nach. Die Anzahl an türkischstämmigen Teilnehmern während der Corona-Demos kann ich an einer Hand abzählen und da komm ich nicht einmal über den Daumen hinaus. „In Deutschland muss man sich brav unterordnen! Niemals aufbegehren und schon gar nicht auffallen!“ Was haben Generationen an Deutschen diesen Menschen angetan? Wie hat man es geschafft, jene Zugewanderten so heftig einzuschüchtern, dass sie sich nicht getrauen ihren Mund aufzumachen? Mit deutscher Gründlichkeit und Angst vor Blamage hat man es geschafft, wahrhaft deutsche Bürger aus jenen zu machen, die ihren Mund halten und brav ihren Abend auf dem Sofa verbringen, anstatt auf der Straße für eine Zukunft unser aller Nachwuchsgenerationen zu „kämpfen“.

In einer Fernsehdokumentation aus den Fünfzigern habe ich genau das Bild des perfekten deutschen Bücklings gesehen, der, während er gerade in seinen Wagen stieg, auf eine Frage der Reporterin antwortete: „Mir langt‘s voll naus“. Genau, sollen doch die anderen machen. Mich betrifft‘s ja nicht. Welche Lehren haben wir eigentlich aus dem Nationalsozialismus gezogen? In jener Zeit war es auch äußerst gefährlich, gegen Adolf Hitler und seine Schergen anzustehen. Man hatte gesellschaftliche Ächtung zu befürchten, genau wie in den heutigen Zeiten, wenn man sich gegen die Meinung der Regierung und deren untertänige Marktschreier richtet.

Und so schafft es eine Minderheit eine scheinbare Mehrheit zu erzeugen, wie es auch schon 1933 der Fall war. Weil sich’s halt schickt, macht man mit. Aber da, wo’s unbequem ist, lässt man lieber die Finger davon und meckert im Verborgenen über diese „Idioten in der Regierung“, die nichts können und bemerkt nicht, dass man sein eigenes Potential völlig verspielt. Welch wundervolle Demokratie könnten wir doch haben, wenn auch Sie, liebe Leserin und lieber Leser, sich mit allen Ihren Kräften an dieser wundervollen Staatsform beteiligen würden?

In diesem Sinne sehen wir uns vielleicht bald da draußen auf der Straße. Vielleicht sind Sie der nächste Anmelder einer Demonstration für das Auskommen Ihrer Kinder oder Enkelkinder. Vielleicht sind Sie derjenige, der das Ruder in die Hand nimmt und andere animiert, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Mein größter Wunsch wäre, wenn sich die Menschenmenge um den Mittfünfziger fast schon streiten muss, wer ihn wiederbelebt. Werden Sie aktiv, preschen Sie nach vorne. Lösen Sie mich, den Hampelmann vom Montagsspaziergang, ab und machen Sie vielleicht etwas noch Besseres daraus. Seien Sie kein Mitläufer, dem alles vorgekaut wird. Sie alle haben eine Stimme bekommen, die sich in unserer Bundesrepublik durchaus erheben darf!