Alte Rezepte, neue Probleme    

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Da wollen Menschen von heute, mit Werkzeugen, Methoden und einem Mindset von gestern, ein Morgen erschaffen, in dem sie selbst gar keine Zukunft haben. Wie soll das funktionieren?

Beim Blick auf die derzeitigen Probleme der Welt wird die Prägnanz dieses Satzes so überaus deutlich. Egal auf welcher Seite des politischen Zauns die Leute sich befinden, sie reproduzieren die gleichen Muster und eines davon ist mit diesem ersten Satz in den Grundzügen beschrieben.

Nicht, dass das ungewöhnlich wäre. Die menschliche Kulturgeschichte gleicht einer Aneinanderreihung dieses Musters. In schwierigen und unruhigen Zeiten suchen Menschen gerne ihr Heil in Altbekanntem. Da weiß man, was man hat. Nur leider wissen wir eben auch, was wir dann alles nicht haben und das ist das Problem.

Wenn Menschen in schwierigen Zeiten sich an rückwärtsgewandten Konzepten orientieren, laufen sie schnurstracks in eine Situation, in der sie das Gewesene durch etwas anderes, schon Gewesenes, ersetzen und damit im Grunde lediglich eine neue Version der bekannten Hölle etablieren. Ich will hier gar nicht die Leier weiter herunterbeten, wo wir dieses Muster überall im Mainstream finden können. Nur alleine die Betrachtung, dass die derzeitigen Eliten auf eine hochvernetzte, komplexe und dynamische Welt, die sich nicht mehr steuern und kontrollieren lässt, eben mit Macht und autoritärem Gebaren reagieren, könnte ganze Bücher füllen. Doch ich will hier viel mehr auf die blinden Flecken auf unserer Seite eingehen, die liegen uns näher und an denen können wir tatsächlich etwas ändern.

Zwei Beispiele: Da gibt es einen Haufen Leute, die suchen ihr Heil in der deutschen Vergangenheit, speziell im deutschen Kaiserreich von 1871. Einige von ihnen werden in die Schublade der Reichsbürger gesteckt. Das deckt allerdings nur den kleinen Teil der Leute ab, die der Überzeugung sind, dass die Verfassung von 1871 sowieso die fortschrittlichste war, die es in Deutschland je gab. Machen wir uns das mal so klar wie möglich: Was gab es 1871 alles nicht? Keine Autos, kein Telefon, kein Fernsehen, keine Flugzeuge und keine Computer, keine Handys und vor allem kein Internet. Und jetzt darf jeder mal drei Sekunden darüber reflektieren, wie eine solche Welt wohl aussah und dann überlegen, wie sich unsere Welt seitdem verändert hat. Wer glaubt denn allen Ernstes, dass ein solches Dokument wie die Verfassung von 1871 dazu geeignet ist, das Leben im 21. Jahrhundert positiv zu gestalten?

Oder nehmen wir das Gebiet des Finanzsystems und des Geldes. Da tun sich einige Leute als Experten auf und kommen mit Rezepten von Herrn Hayek, Mises und anderen Vertretern der sog. „Österreichischen Schule“. Die Hauptwirkungszeit dieser Leute waren die Fünfziger und Sechziger Jahre. Was wussten wir damals über Menschen? Annähernd nichts. Damals hatten die Meisten immer noch Vorstellungen davon, wie Menschen „ticken“, die waren damals schon einige hundert Jahre alt. Hayek, Mises und Konsorten hatten keinerlei Ahnung von moderner Hirnforschung. Der Computertomograph und in Folge weitere bildgebende Verfahren kamen erst ab den späten Achtzigern und damit auch die Erkenntnisse darüber, wie so ein Gehirn arbeitet. Ebenso verhält es sich mit moderner psychologischer Forschung, allen voran die Entwicklungspsychologie. Hayek, Mises und ihre heutigen Nachfolger haben nicht die geringste Ahnung von Motivationspsychologie und damit davon, was Menschen wirklich antreibt. Daher ist es kein Wunder, wenn die Konzepte dieser Leute eben unsere heutigen Probleme nicht lösen, sondern lediglich neue Facetten der gleichen Probleme schaffen werden. Kaum jemand dieser Leute macht sich Gedanken, wie es wäre, wenn Menschen wirklich „artgerecht“ aufwachsen, leben und gedeihen. All diese Leute orientieren sich lediglich an der psychologischen Kümmerversion von Menschen, an die sie sich gewöhnt haben, weil keiner von ihnen wirklich eine Idee davon hat, wie es aussieht, wenn Menschen ihr volles Potenzial entwickeln und leben. Nur ist das eben überhaupt keine Frage der Ökonomie.

Wir sehen: So sieht es aus, wenn mit alten Rezepten von gestern Probleme einer Welt von heute gelöst werden sollen, für die es in der Welt der Rezepte von gestern nicht mal eine Wahrnehmung gibt. Das tiefe und wirkliche Problem der westlichen Welt ist, dass wir kollektiv im Burnout sind und ein vollkommen sinnfreies Leben führen. Nur wird es dazu ganz sicher keine Orientierung geben von Leuten, die gar nicht wissen, dass genau das das wirkliche Problem ist.